Der Bundesrat beschloss Ende 2011 eine nationale Strategie zur Ausrottung der Masern[1]. Bei den Masern handelt es sich um eine hochansteckende, durch Tröpfchen übertragbare Viruserkrankung. Eine entsprechende Impfung mit zwei Dosen, welche gemäss Empfehlung vor dem zweiten Geburtstag erfolgen sollte, ist ein einfacher Weg, individuell vorzubeugen und gleichzeitig die Krankheit insgesamt einzudämmen. Bei einer genügenden Impfdichte ist die Ausrottung der Krankheit möglich. Dieses Ziel soll nun bis 2015 mit Hilfe der nationalen Strategie zur Masernelimination angestrebt werden. Andere Länder seien schon kurz davor, dieses Ziel zu erreichen.[2] Nach Berechnungen des Bundes führte die Masernepidemie in Jahren 2006 bis 2009 zu Kosten von über 15 Millionen Franken. Ferner sei mit einem Todesfall pro 3‘000 Erkrankungen zu rechnen, welcher zusätzliche Kosten verursacht. Entsprechend besteht neben den medizinischen Gründen ebenfalls ein finanzieller Anreiz, die Masern zu eliminieren. Die Masernepidemie führte deshalb auch zu Vorstössen im Parlament sowie der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren[3]. Ferner verfolgt auch die WHO-Region Europa das Ziel, die Masern bis 2015 auszurotten und hat dafür eine entsprechende Arbeitsgruppe gegründet[4]. Das Departement des Innern zieht nun mit einem nationalen Komitee zur Masernelimination nach[5].
Das BAG geht davon aus, dass von den rund 15 % der Eltern, welche ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen, 70 – 90 % für eine Impfung gewonnen werden können. Nur bis zu 5 % der Eltern haben sich gemäss dem BAG prinzipiell gegen eine Impfung entschieden. Diese tiefe Quote gefährde die Ausrottungsbemühungen jedoch nicht, da mit einer Impfdichte von 95 % oder höher die sogenannte Herdenimmunität erreicht werde. Nicht nur diese Tatsache spricht gegen eine zwangsweise Impfung aller Kinder unter zwei Jahren. Eine zwangsweise Impfung wäre augenscheinlich ein Eingriff in die Grundrechte der Eltern und der Kinder und es bestehen Zweifel, ob ein solcher Eingriff überhaupt einer Überprüfung nach Art. 36 BV standhalten würde. Die nationale Strategie zur Masernelimination sieht wohl auch aufgrund rechtlicher Bedenken keine solchen Schritte vor, welche ohnehin einer gesetzlichen Grundlage bedürften[6].
Das BAG strebt folgende strategischen Ziele an[7]:
- In der Schweiz ist dauerhaft gewährleistet, dass mindestens 95 % aller Kleinkinder bis zum Alter von 2 Jahren mit zwei Dosen gegen Masern geimpft sind.
- Evidenzbasierte, sachliche und gut aufbereitete Informationen sind für alle Bevölkerungsgruppen leicht zugänglich, insbesondere für Eltern, Schulen und Gesundheitsfachpersonen sowie Politiker und Politikerinnen. Die Informationen betreffen insbesondere Fakten zur MMR-Impfung (Masern, Mumps und Röteln), aber auch zur Verpflichtung der Schweiz zur Masernelimination.
- Die Eltern nicht geimpfter Kinder sind über mögliche Konsequenzen ihrer Entscheidung informiert. Anreize für die Nachholimpfung sind gewährleistet.
- Der Zugang zur Impfung ist für alle Bevölkerungsgruppen erleichtert. Finanzielle und andere Barrieren sind beseitigt.
- Die kantonalen Unterschiede bei der Durchimpfung und der Ausbruchskontrolle sind verringert. Effizienz und national einheitliche Resultate sowie die rasche Eindämmung von Masernausbrüchen sind gewährleistet.
- Alle involvierten Akteure, insbesondere jene des Gesundheitswesens, anerkennen die Strategie und tragen zu deren Umsetzung bei.
Als Zwischenziel wird eine Impfdichte von 90 % per 31. Dezember 2013 angestrebt. Diese Ziele sollen durch Informationskampagnen, Setzen von Anreizen für das Nachholen der Impfung bei Kindern im Alter von über 2 Jahren, Beseitigung von finanziellen Hürden und eine national einheitliche Ausbruchskontrolle erreicht werden. Der Brief des Kantonsarztes von Basel-Land an alle Eltern, deren Kinder Kindertagesstätten besuchen, ist ein Beispiel für die Informationskampagne[8]. Die MMR-Impfung ist neu von der Franchise der Krankenversicherung befreit und entsprechend tragen die Krankenversicherungen die Kosten. Das BAG zielt darauf ab, dass bereits in der Ausbildung von Gesundheitsfachkräften das Impfen allgemein und mit die MMR-Impfung im Besonderen thematisiert wird[9]. Diese Schritte sowie die anderen Achsen, auf welchen das Problem angegangen wird, zeigen den umfassenden Ansatz des Bundes.
Impfgegner stehen den Informationskampagnen und dem Setzen von Anreizen skeptisch gegenüber. Kritisiert wird auch, dass mit der MMR-Impfung ein Kombipräparat empfohlen wird und die Eltern daher nicht über jede Impfung einzeln entscheiden können[10]. Die Bestrebungen der Politik in der Schweiz und in den anderen Ländern sowie der WHO zeigen klar auf, dass es ein starkes öffentliches Interesse an der Ausrottung der Masern gibt. Die Erfolge beim Polio-Virus, welcher gemäss der WHO in der Region Europa ausgerottet wurde, zeigen, dass solche Kampagnen viel Leid verhindern können, sofern auch nach der Ausrottung entsprechende Massnahmen beibehalten werden[11]. Leider gibt es immer wieder Rückschläge bei der Ausrottung von Erkrankungen, welche sich aufgrund der Mobilität der Menschen schnell erneut verbreiten können[12].
Es bleibt abzuwarten, inwiefern die gesetzten Ziele im Fall der Masern tatsächlich erreicht werden können. Sollte keine Herdenimmunität erreicht werden, stellt sich die Frage ob und welche weiteren Schritte ergriffen werden sollen. Inwiefern davon auch die anstehende Überarbeitung des Epidemiengesetzes betroffen sein wird, ist zurzeit unklar. Bereits jetzt steht jedoch fest, dass selbst bei einem Erfolg der nationalen Strategie zur Ausrottung der Masern der Kampf gegen diese Krankheit in der Schweiz 2015 nicht beendet sein wird.
Die SMLA beobachtete in den letzten Jahren vermehrt, dass Eltern Impfungen ihrer Kinder mit z.T. rational kaum nachvollziehbaren Gründen ablehnen. Für die SMLA steht ausser Frage, dass bei gefährlichen Krankheiten, eine Impfung nicht nur im Interesse des betroffenen Kindes, sondern auch im Interesse möglicher Ansteckungsopfer mehr als nur indiziert ist. Gesetzlicher Zwang ist hier zwar wohl ein probates Mittel, das angestrebte Ziel unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit zu erreichen. Vor einem gesetzlichen Zwang muss aber vermehrt Aufklärungsarbeit geleistet werden. Viele der heutigen Eltern von minderjährigen Kindern sind bereits in einer Zeit aufgewachsen, als viele schlimme Epidemien bereits der Vergangenheit angehörten. Gerade bei dieser Elterngeneration muss der Grundsatz heissen: Aufklärung vor Zwang.
[1] Medienmitteilung des BAG, abrufbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/aktuell/medienmitteilungen.msg-id-42720.html
[2] BAG, Nationale Strategie zur Masernelimination 2011–2015, Kurzfassung, S. 4.
[3] BAG, Nationale Strategie zur Masernelimination 2011–2015, Kurzfassung, S. 12.
[4] WHO-Europe, Eliminating measles and rubella: new commission meets, abrufbar unter: http://www.euro.who.int/en/health-topics/communicable-diseases/measles-and-rubella/news/news/2012/2/eliminating-measles-and-rubella-new-commission-meets
[5] BAG, Nationale Strategie zur Masernelimination 2011–2015, Kurzfassung, S. 15.
[6] BAG, Nationale Strategie zur Masernelimination 2011–2015, Kurzfassung, S. 5.
[7] BAG, Nationale Strategie zur Masernelimination 2011–2015, Kurzfassung, S. 13.
[8] Abrufbar unter: https://www.baselland.ch/politik…/masern/…/kita_elternbrief_neue-kinder.pdf
[9] BAG, Nationale Strategie zur Masernelimination 2011–2015, Kurzfassung, S. 4.
[10] https://www.wireltern.ch/artikel/soll-ich-mein-kind-impfen-lassen-279
[11] BAG, Bulletin Nr. 46 vom 12. November 2007, Europäische Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 5 Jahren frei von Kinderlähmung durch Wildviren: die Motivationen und Herausforderungen; Benjamin Dürr, Hauruck-Aktion gegen Kinderlähmung in Afrika, in Zeit Online vom 26.03.2012, abrufbar unter: http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2012-03/afrika-polio-impfung
[12] Christina Berndt, Rückkehr der Kinderlähmung, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.09.2011, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/wissen/polio-in-asien-rueckkehr-der-kinderlaehmung-1.1147929