Am 5. März 2015 erging in den verbundenen Rechtssachen C-504/13 und C-503/13 der obgenannte Entscheid des EuGH im Bereich der Produktehaftung von Medizinprodukten.[1] Er wurde bereits zwei Wochen später erstmals kommentiert.[2]
Es handelte sich um ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV und dabei stellte sich die Frage, ob ein erhöhtes Ausfallrisiko einer Produktgruppe genügt, damit ein einzelnes Produkt dieser Gruppe als fehlerhaft gemäss der Produkthaftungsrichtline (Richtlinie 85/374/EWG) angesehen werden kann. Die fehlerhafte Produktegruppe war in casu ein Herzschrittmacher und ein Cardioverten Defibrator, welche gemäss dem Hersteller ein bis zu 20 Mal höheres Ausfallrisiko hatten als ähnliche Produkte, und daher früher ausgetauscht werden sollten. Der EuGH hatte daher zusätzlich zu entscheiden, ob die Kosten eines Austausches eines solchen, möglicherweise fehlerfreien, Gerätes als ersatzfähigen Schaden im Sinne der Produktehaftungsrichtlinie gelten.
Der EuGH folgte den Anträgen des Generalanwaltes und bejahte die Einstufung der Produkte als fehlerhaft und anerkannte den Austausch als ersatzfähigen Schaden. Der Gerichtshof argumentierte mit den hohen Anforderungen, die eine Person an medizinische Produkte berechtigterweise haben dürfe. Zudem sei die hohe Verletzlichkeit der Personen, welche diese Produkte benutzen, ein weiterer Faktor, da ein fehlerhafter Herzschrittmacher das Leben der Träger gefährdet. Der EuGH spricht von der anormalen Potentialität des möglichen Personenschadens. Der Schadensersatz umfasse u.a. die Kosten, welche nötig sind um das erforderliche Sicherheitsniveau wieder herzustellen, welches berechtigterweise erwartet werden dürfe. Da keine mildere Massnahme als eine Operation zwecks Austausch des Produkts geeignet sei, das Sicherheitsniveau wieder herzustellen, sind die Kosten der Operation ersatzfähig i.S. der Produkthaftungsrichtlinie.
Der Entscheid des EuGH entfaltet selbstverständlich keine direkte bindende Wirkung in der Schweiz, könnte jedoch auch in der Schweiz durchaus als Argument genutzt werden, da das Produkthaftpflichtgesetz (PrHG) auf der europäischen Produkthaftungsrichtlinie basiert. Philippe Fuchs verweist dabei auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, die in diesen Fällen eine europarechtskonforme Auslegung anstrebt, aber nicht als zwingend vorsieht. Er sieht durchaus Chancen, dass das Bundesgericht die Rechtsprechung des EuGH übernehmen wird.
Es stellt sich die Frage, ob diese Rechtsprechung bei allen (implantierbaren) Medizinalprodukten anzuwenden ist. Im entschiedenen Fall könnte das Versagen des Produkts direkt zum Tod der Person führen, was ein sehr hohes Sicherheitsniveau, welches erwartet werden kann, erfordert.
Fraglich ist, ob es überhaupt zumutbar ist, die Entfernung von Implantationsprodukten mit erhöhtem Fehlerrisiko nicht als ersatzfähig anzusehen, und so jemanden aus finanziellen Gründen zu zwingen, das Produkt im Körper zu belassen, nur weil die Konsequenzen weniger gravierend sind als bei einem Herzschrittmacher. Dies könnte bei einem künstlichen Gelenk der Fall sein. Oder ist die Ersatzfähigkeit direkt mit der Fehlerhaftigkeit verbunden?
Diese Frage drängt sich vor allem aber bei Produkten, die keinen medizinischen Nutzen haben, wie z.B. Chips, welche implantiert werden und u.a. zum bargeldlosen Bezahlen genutzt werden können, auf.[3]
Es ist festzuhalten, dass wohl bei allen Produkten, die implantiert werden, ein sehr hohes Sicherheitsniveau erwartet werden darf und daher eine Unterscheidung zwischen Produkten mit und ohne medizinischen Nutzen nur bedingt Sinn machen dürfte.
Eine weitere Frage, die sich stellen könnte ist, ob sich ein Hersteller in einem Einzelfall gegen die Ersatzfähigkeit wehren könnte, indem er sich auf den Standpunkt stellt, dass eine Operation zwecks Austausch ein genauso erhebliches Risiko für den Patienten bildet, da dieser einer Risikogruppe angehört. Ergibt sich einen Schaden aus der Operation, welche nur aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Produktegruppe notwendig war, drängen sich weitere Haftungsfragen auf.
Zudem drängen sich auch Abgrenzungsfragen auf: Wie viel höher muss die Fehlerquote einer Produktegruppe sein, damit sie als fehlerhaft einzustufen ist. Wie hoch ist das zu erwartende Sicherheitsniveau bei welchem Produkt?
Mit Blick auf die Schadensminderungspflicht stellt sich die Frage, ob aufgrund dieser Obliegenheit immer stets die mildeste Massnahme zur Wiederherstellung des Sicherheitsniveaus gewählt werden muss. Oder ob auch eine kostenintensivere Methode gewählt werden darf, wenn diese ein tieferes Risiko für die betroffene Person darstellt, als die günstigste Methode.
Aus wirtschaftlicher Sicht kann die Rechtsprechung des EuGH zu Mehrkosten führen, weil die Hersteller intensivere Tests vornehmen könnten, da sie diese Kosten bei einer Fehlerhaftigkeit der Produktegruppe vermeiden möchten. Tritt dies so ein, könnte sich dies innovationshemmend auswirken. Da jedoch vom zu erwartenden Sicherheitsniveau ausgegangen wird, sollten eigentlich keine weiteren Tests nötig sein. Das zu erwartende Sicherheitsniveau sollte bereits mit den heutigen Tests erfüllt sein.
Die SMLA begrüsst diese Rechtsprechung. Sie weist aber gleichzeitig auch daraufhin, dass der EuGH durch das Urteil vom 5. März 2015 eine neue Rechtslage geschaffen hat und bis jetzt nur dieses eine Urteil vorliegt, welches wie soeben dargelegt, noch einige Fragen offen lässt. Es wird zweifelsohne weitere Urteile benötigen, um auch diese einer Klärung zuzuführen.
[1] Abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=162686&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=262597 (zuletzt besucht: 01.05.2015)
[2] Philippe Fuchs, Haftung für unerwünschte Arzneimittelwirkungen, in: Jusletter vom 26. Januar 2015.
[3] Siehe http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/rfid-chip-bueroangestellte-schweden-13438675.html (zuletzt besucht am 01.05.2015)