Der Gesetzgeber beschloss per 01.01.2013 zahlreiche Bestimmungen des zweiten Teils des ZGB (Familienrecht) zu revidieren. Es werden zahlreiche alte Begriffe durch modernere Ausdrücke ersetzt und das gesamte Vormundschaftswesen umorganisiert. Ab dem 01.01.2013 sprich man in diesem Bereich von der Kinder- und Erwachsenenschutzrecht. Die zuständige Behörde ist dann die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Aus medizinalrechtlicher Sicht sind insbesondere die Neuerungen im Vormundschaftsrecht (ab 01.01.2013: Erwachsenenschutzrecht genannt) interessant. Es werden neue Instrumente eingeführt, welche individuelle Regelungen bzgl. der Vertretung im Falle einer vorübergehenden oder dauerhaften Urteilsunfähigkeit ermöglichen.
In Art. 360 – 369 revZGB wird neu der sogenannte Vorsorgeauftrag geregelt sein. Ziel dieses Instruments ist es, dass eine Person im Falle einer länger andauernden Urteilsunfähigkeit bestimmen kann, wer sie bzgl. ihrem Vermögen, im Rechtsverkehr sowie bzgl. der Personensorge – insbesondere bei Entscheiden über medizinische und pflegerische Massnahmen – vertreten darf. Die Teilbereiche können auf einzelne oder mehrere Personen aufgeteilt werden. Es kann aber auch nur ein einziger Vertreter für alle Bereiche ernannt werden. Der Auftraggeber kann seinen individuellen Vorstellungen entsprechende Weisungen an die beauftragten Personen erteilen. Mit der Ernennung von Vertretern im Falle einer Urteilsunfähigkeit kann ein Eingreifen der KESB – besonders die Einsetzung eines Beistandes – verhindert werden. Damit wird das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gestärkt, dem Subsidiaritätsprinzip des neuen Erwachsenenschutzrechtes Rechnung getragen und so die Behörden entlastet, was zu begrüssen ist.
Der Vorsorgeauftrag muss – genau wie ein Testament – entweder eigenhändig samt Datum und Unterschrift errichtet oder öffentlich beurkundet werden. Selbstverständlich wird im Zeitpunkt des Verfassens des Vorsorgeauftrages die Urteilfähigkeit des Auftraggebers vorausgesetzt. Die Formvorschriften sollen vor Missbrauch schützen, da sehr weitreichende Stellvertretungen in einem Vorsorgeauftrag vorgesehen sein können. Je nach Konstellation sind auch komplexere Stellvertretungen zu regeln: So z.B. wenn ein selbständiger Unternehmer neben seinem privaten Angelegenheiten auch die Vertretung im Geschäftsverkehr regeln muss. Wie bei einem Testament und gemäss den entsprechenden Bestimmungen im OR zum Auftrag und zur Stellvertretung ist der Vorsorgeauftrag jederzeit widerrufbar. Die beauftragten Personen können im Gegenzug beim Eintritt des Vorsorgefalls ihren Auftrag ablehnen. Ihre Zustimmung muss infolgedessen bei der Erstellung des Vorsorgeauftrages nicht vorliegen. Augenscheinlich macht es aber keinen Sinn, jemand als Beauftragter vorzusehen, wenn sie oder er diese Funktion nicht wahrnehmen möchte. Ferner können die beauftragten Personen ihren Auftrag jederzeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten niederlegen. Das revZGB sieht in Art. 366 revZGB eine Entschädigung und die Regelung der Spesen vor, sofern der Auftraggeber diese Punkte nicht selbst geregelt oder wegbedungen hat.
Der Vorsorgeauftrag als Schriftstück oder öffentliche Urkunde ist kein gültiger Nachweis für die Vertretungskompetenzen der beauftragten Personen. Vielmehr ist der Eintritt des Vorsorgefalles, die gültige Errichtung des Vorsorgeauftrages sowie die Fähigkeit der beauftragten Person zur Wahrnehmung der Vorsorge durch die KESB im Vorsorgefall zunächst zu prüfen (Art. 363 revZGB). Die KESB kann im Rahmen dieser Prüfung allfällig notwendige und ergänzende Massnahmen beschliessen. Sind die oben genannten Voraussetzungen gegeben, so erhalten die im Vorsorgeauftrag genannten Personen eine Urkunde von der KESB, in welcher ihre Kompetenzen festgehalten sind. Erst mit dieser Urkunde können sie ihren Auftrag wahrnehmen. Dies bedeutet jedoch, dass die KESB über den Eintritt des Vorsorgefalls in dem Fall informiert werden muss. Jedermann kann dies der KESB mitteilen. Ferner kann der Auftraggeber, sofern er dies möchte, die Existenz und der Hinterlegungsort des Vorsorgeauftrages in einem zentralen Register der Zivilstandsämter eintragen lassen. Das Dokument selbst kann bei den Zivilstandsämtern jedoch nicht hinterlegt werden. Bevor die KESB selbst Massnahmen erlässt, wenn sie z.B. nur von einem Spital über die dauernde Urteilsunfähigkeit einer Person erfahren hat, muss sie in diesem Register überprüfen, ob nicht ein Vorsorgeauftrag existiert. Sollte dies der Fall sein, wird sich die KESB den Vorsorgeauftrag beschaffen, die im Vorsorgeauftrag genannten Personen kontaktieren und das oben beschriebene Verfahren durchführen.
Der Vorsorgeauftrag erlischt, wenn der Auftraggeber seine Urteilsfähigkeit dauerhaft wieder erlangt, beim Tod des Auftraggebers, bei Niederlegung des Auftrages durch die beauftragte Person oder durch das Einschreiten der KESB, welches aber nur bei Missbrauch durch die beauftragte Person vorgesehen ist (Art. 368 revZGB). Solche Missbräuche und allfällige Interessenkonflikte der beauftragten Person können von jedermann der zuständigen KESB gemeldet werden. Bei Interessenkonflikten erlöscht die Vertretungskompetenz der beauftragten Person für dieses spezifische Geschäft von Gesetzes wegen (Art. 365 Abs. 3 revZGB). Die beauftragte Person ist in solchen Fällen verpflichtet, die KESB zu informieren, welche dann nur das betroffene Geschäft regelt. Bezüglich den übrigen Geschäften kann die beauftragte Person weiterhin ihren Auftrag wahrnehmen.
Die Abläufe im Rahmen des Vorsorgeauftrages führen dazu, dass zwischen Eintritt der Urteilsunfähigkeit und dem Wirksam werden des Vorsorgeauftrages eine gewisse Zeit verstreicht. Zudem reicht eine vorübergehende geistige Schwäche nicht dafür aus, um den Vorsorgefall auszulösen. Der Gesetzgeber sah dieses Problem ebenfalls und beschloss die Patientenverfügung ausdrücklich im ZGB zu regeln (Art. 370 -373 revZGB), um diese zeitliche Lücke zumindest für medizinische Massnahmen zu schliessen. Die Bestimmungen zur Patientenverfügung treten ebenfalls per 01.01.2013 in Kraft. Dieses Instrument ist jedoch schon länger bekannt und in Gebrauch. Weil mit der Patientenverfügung „nur“ der Bereich der medizinischen Massnahmen geregelt werden kann, genügt die einfache Schriftlichkeit für deren Errichtung. Die einfache Errichtung der Patientenverfügung soll wohl auch die Verbreitung dieses Instruments in der Bevölkerung fördern. In der Patientenverfügung können Vertreter ernannt und diesen entsprechende Weisungen erteilt werden.
Die Existenz und der Hinterlegungsort einer Patientenverfügung können auf der Versichertenkarte hinterlegt werden. Ärzte und Ärztinnen werden neu verpflichtet, die Versichertenkarte zu überprüfen, sollte ein Patient nicht mehr selbst über medizinische Massnahmen entscheiden können. Abgewichen werden von der Patientenverfügung darf nur, wenn diese gegen die gesetzlichen Vorschriften verstösst sowie bei begründetem Zweifel, dass sie weder dem freien Willen des Verfassers noch dem mutmasslichen Willen des Patienten entspricht. Hält sich ein Arzt oder eine Ärztin nicht an die Patientenverfügung, so muss er die Gründe dafür im Patientendossier festhalten. Wie der Vorsorgeauftrag ist die Patientenverfügung jederzeit widerrufbar. Wird die Patientenverfügung nicht eingehalten, so kann jede dem Patienten nahestehende Person die KESB informieren, welche die erforderlichen Massnahmen trifft.
Es ist zu begrüssen, dass der Vorsorgeauftrag und die Patientenverfügung per Anfang 2013 eingeführt respektive ausdrücklich geregelt werden. Die Stärkung der Selbstbestimmung führt zu einer Entlastung der Angehörigen, der Ärzte und wohl auch des Einzelnen, welcher nach dem Verfassen dieser Dokumente weiss, dass die wichtigen Dinge im Fall seiner Urteilsunfähigkeit geregelt und seine Angehörigen entsprechend instruiert sind. Es bleibt abzuwarten, wie schnell die breite Bevölkerung die beiden Dokumente nützen wird. Zu hoffen ist, dass die KESB sich im Einzelfall dann auch sofort einschaltet um dem Willen des Einzelnen mit Nachdruck zum Durchbruch zu verhelfen, sollte der Vorsorgeauftrag oder die Patientenverfügung nicht respektiert werden.